Gina Schöler leitet das „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“. Ein Gespräch über ein flüchtiges Gefühl und die Frage, wie man sein Glück zu fassen bekommt

Gina Schöler (30) ist Deutschlands erste Glücksministerin und meint es ernst mit ihrem Anliegen: Deutschland kann glücklicher werden. Die Idee dazu hatte sie während ihres Studiums in Kommunikationsdesign, seit 2013 ist sie europaweit unterwegs, um mit Vorträgen, Workshops und Aktionen zum Nachdenken anzuregen: Wie werden wir glücklich?

Frau Schöler, sind Sie tatsächlich Glücksministerin? Oder haben Sie eine Werbeagentur mit guten Ideen?

Nein, inzwischen bin ich tatsächlich als Glücksministerin hauptberuflich unterwegs. Ich komme ja ursprünglich aus der Gestaltung und dem Kreativen. Die Idee entstand während meines Studiums, ich habe Kommunikationsdesign an der Hochschule Mannheim studiert. 2013 habe ich meine Masterarbeit darüber geschrieben. Dann habe ich beschlossen, daraus meinen Beruf zu machen. Es ist eine Art multimediale Kampagne. Es brauchte zwar etwas Zeit, bis das Bewusstsein entstand, dass das Glück ein wichtiges, nachhaltiges Thema ist. Inzwischen bin ich Vollzeit-Glücksministerin.

Haben Sie Staatssekretäre und einen Beamtenapparat?

Schön wäre es, aber bisher bin ich ein Eine-Frau-Ministerium, wenn auch mit vielen Kooperationspartnern. Ich mache alles selbst, von der Idee bis zum Umsetzung.

Wie kamen Sie auf die Idee?

Inspirationsquelle war der Staat Bhutan. An der Hochschule Mannheim hatten wir die Aufgabe, im Team eine Kampagne zu skizzieren, die keine Produkte oder Dienstleistungen verkaufen sollte, wie es ja in der Werbung oft der Fall ist, sondern die Werbung für gesellschaftliche Werte macht.

Mal eben die Gesellschaft positiv verändern? Schwierige Aufgabe.

Genau. So bin ich auf das Konzept des „Bruttonationalglücks“ in Bhutan gestoßen. Dort ist es das oberste staatliche Ziel, dass die Menschen mit ihrem Leben zufrieden sein sollen. Es wird regelmäßig mit einer großen Befragung ermittelt. Der Begriff ist angelehnt an das Bruttonationalprodukt bei uns, es ist sozusagen ein zweiter Wohlstandsfaktor. Natürlich kann man einen Himalaya-Staat nicht ohne weiteres mit Deutschland vergleichen. Aber das „Ministerium“ als Metapher macht auch bei uns neugierig. Viele Menschen wollen darüber sofort mehr wissen und steigen sofort in die Idee ein.

Gibt es inzwischen weitere Länder, die das Bruttonationalglück staatlich festgeschrieben haben?

In Bhutan gibt es ja eine eigene Kommission, die sich mit dem Thema befasst, mit ihr bin ich auch im Austausch. Ich weiß daher, dass sich viele Länder für die Messung dieses Glücksfaktors interessieren – aber so aktiv umgesetzt wie in Bhutan wird es meines Wissens nirgendwo.

Auch in Deutschland nicht?

Nein. Einerseits gibt es viele Umfragen, etwa den Glücksatlas der Deutschen Post, der regelmäßig die Lebenszufriedenheit der Deutschen erfragt, oder der Bürgerdialog der Regierungsstrategie „Gut leben in Deutschland“, der von 2013 bis 2015 lief. Das ist alles sehr interessant, aber die Frage ist ja, was damit dann hinterher passiert. Bei der Umsetzung ist Bhutan nach wie vor Vorreiter.

Sind Sie in die Regierungsarbeit eingebunden, werden zu Rate gezogen von echten „Ministerkollegen“?

Ich habe ja keinen offiziellen Auftrag. Aber beim Bundesjustizministerium war ich zum Beispiel beim Tag der offenen Tür präsent, mit dem Justizminister Heiko Maas habe ich im Rahmen des Bürgerdialogs einen kleinen Workshop zum Thema Glück gemacht.

Die Grünenpolitikerin Claudia Roth sagt in einem Video auf Ihrer Homepage, sie finde, das Glücksministerium solle man „nach der nächsten Wahl sofort einführen“.

Ja, das war allerdings vor der Bundestagswahl 2013. Mal sehen, was passiert, wenn die Grünen diesmal in die Regierung kommen.

Wie groß ist der Bedarf? Sind wir Deutschen besonders unglücklich oder unzufrieden?

Ich glaube, wir sind nicht so unzufrieden, wie andere oder auch wir selbst manchmal glauben. Im World Happiness Report ist Deutschland sogar aufgestiegen – vom 26. Platz auf den16. im vergangenen Jahr. Insgesamt wurden rund 50 Länder verglichen.

Was machen Sie als Glücksministerin konkret?

Ich versuche, das Thema so breit wie möglich in die Öffentlichkeit zu tragen. Inzwischen merke ich, dass das Thema in allen Altersgruppen und Schichten auf großes Interesse stößt. Also gibt es Workshops an Schulen und für Erwachsene, es gibt Aktionen mit Streetart, um die Menschen im Alltag zu erreichen. Oder Mitmach-Aktionen wie „Schreib Dich glücklich“, das wir gerade aus Anlass des Weltglückstags am 20. März gestartet haben. Dabei geht es darum, dass sich wildfremden Menschen handgeschriebene Briefe schicken.

Macht Briefeschreiben glücklich?

Offenbar ja. Sein Ende Januar haben sich schon etwa 3500 Menschen gemeldet, damit hätte ich nie gerechnet. Das Angebot ist simpel, man schickt seine Postadresse per Mail an uns und bekommt per Los eine andere zugesendet. Dann schreibt man einem wildfremden Menschen einen Brief – und bekommt selbst Post.

Wie kommen Sie auf solche Ideen?

Meine Philosophie ist: Ich gebe kleine Impulse nach draußen, bei der die Menschen aber eigentlich selbst zum Botschafter des Glücks werden. Das kommt sehr gut an. Ich bekomme auch sehr viel zurück, gerade in den Workshops, in denen ich zum Beispiel Design Thinking mit Glück kombiniere. Es ist faszinierend zu sehen, was passiert, wenn Menschen sich selbst wieder neu kennenlernen.

Es gibt also tatsächlich ein Bedürfnis, dem eigenen Glück auf die Sprünge zu helfen?

Ja, definitiv. Viele stellen fest, wie viel sie im Alltag zurückstellen, wie wenig sie sich dessen bewusst sind, was ihre wirklichen Bedürfnisse sind. Viele ändern danach dann auch tatsächlich etwas in ihrem Leben.

Auch Sie haben inzwischen ein Buch zum Glück veröffentlicht.

Ja, ich bekam die Anfrage des Verlags, ein Buch zu meinem Thema zu machen und dachte mir, warum nicht? Ich habe dann einfach aus meiner Arbeit als Glücksministerin und aus meinem Leben berichtet. Das Buch enthält kurze persönliche Geschichten des kleinen Glücks, die mir oder anderen Leuten passiert sind – und die dazu inspirieren sollen, selbst aktiv zu werden.

Also eine Art Ratgeber?

Eher ein Impulsgeber. Es sind kleine Aha-Momente. Im Buch nenne sich sie „Anstiftungen“. Also: Wenn man sich beim Autofahren über andere Verkehrsteilnehmer ärgert, einfach mal einen anderen Fahrer anzulächeln. Einfach mal laut zu lachen. Wenn die Sonne scheint, einen Moment bewusst Wärme und Licht zu genießen. Und so weiter. Es klingt einfach, aber der Trick ist, es auch wirklich zu tun.

Welche wissenschaftliche Erkenntnisse stehen hinter Ihrem Umgang mit Glück?

Anfangs habe ich mich viel mit Studien und Forschungen zum Thema Glück befasst, dabei bin ich dann auf das Feld der Positiven Psychologie gestoßen. Normalerweise liegt der Fokus in der Psychologie ja auf Krankheitsbildern, die Positive Psychologie dreht das um. Sie fragt: Was hält Menschen gesund? Aber mir geht es nicht darum, Erkenntnisse zu verbreiten, sondern diese erlebbar zu machen.

Was ist eigentlich dieses „Glück“? Was sagen Sie den Menschen?

Glück ist für jeden Menschen etwas anderes. Es lässt sich nicht in generellen Begriffen fassen. In meinen Workshops und Aktionen gebe ich die Frage an die Teilnehmer weiter. Was dabei herauskommt, ist so individuell wie die Menschen.

Was ist für Sie selbst Glück?

Bis vor einigen Monaten hatte ich für mich keine feste Definition, früher habe ich mir die Frage nicht gestellt. Vor dem Hintergrund von einigen persönlichen Ereignissen würde ich heute sagen: Glück ist für mich Veränderung. Das klingt abstrakt, aber wenn man sich überlegt, dass alles um uns herum immer so schnell wieder anders wird, nichts ist sicher, nichts ist stetig. Ich habe gelernt, dass es mir guttut, Veränderungen gegenüber offen zu sein, ob es nun gute oder schlechte sind. Gut loslassen zu können, auch innerhalb von Turbulenzen, die ja jeder von uns hat, das Gute zu sehen, die Türen, die trotz alledem aufgehen – daraus schöpfe ich Kraft, und das nenne ich: Glück.

Welche Menschen suchen das Glück, was ist das Motiv, an Ihren Veranstaltungen teilzunehmen?

Ich habe noch nie eine Zielgruppenanalyse gemacht, obwohl das ja eigentlich das kleine Einmaleins der Kommunikationsdesigner ist. Aber ich wollte unvoreingenommen sein. In meinen Workshops sitzen ganz unterschiedliche Menschen. Vom Teenager über Patchwork-Familien, Burnout-Manager bis zur Seniorin, die nicht weiß, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll. Zum einen sind es Menschen mit Fragezeichen im Kopf, bei denen es vielleicht privat oder beruflich nicht weitergeht. Bei anderen läuft alles gut, aber sie fühlen sich trotzdem nicht erfüllt. Oft sind es aber einfach Menschen, die sich gern mit solchen Fragen auseinandersetzen.

Werden wir glücklich oder unglücklich geboren?

Ja, laut der Studien einer Glücksforscherin aus den USA hängt es tatsächlich zu 50 Prozent von den Genen ab, zehn Prozent sind äußere Einflüsse und 40 Prozent ist innere Haltung. Es ist eine interessante These, aber für mich sind vor allem diese 40 Prozent interessant. Wie nehme ich meine Umwelt wahr, wie gehe ich mit mir selbst um, was sind meine Werte, mein Handeln? Das sind Dinge, die wir definitiv selbst beeinflussen können.

Ist das Glücksempfinden abhängig von der jeweiligen Lebensphase? Sind Kinder glücklicher oder wirken sie nur so auf Erwachsene?

Es gibt Studien, nach denen das Glücksempfinden bei Kindern tatsächlich sehr hoch ist, weil sie einfach diese Euphorie des Moments haben. Ihnen ist es egal, was morgen ist oder worüber sie sich in der vergangenen Woche geärgert haben. In der Mittelphase des Lebens verlernt man das, also etwa zwischen 35 und 50, weil die meisten Menschen dann den meisten Stress haben. Danach geht es wieder nach oben. Deswegen sagt man, die Glückskurve des Lebens verläuft wie ein U. Ein Wunschprojekt von mir wäre ja, einmal mit sehr alten Menschen Interviews zu machen, was Glück für sie bedeutet. Da kann man sich möglicherweise auch viel Inspiration holen.

Und was macht uns jetzt konkret glücklich? Gibt es das Erste-Hilfe-Glücks-Set wirklich, das Sie anbieten?

Ja, das gibt es, aber füllen muss es jeder selbst – mit den Ideen. Der erste Schritt ist, sich selbst wieder mehr wahrzunehmen, sich Zeit für sich selbst einzuräumen. Zum Beispiel, indem man im Kalender den Rotstift ansetzt, um zu sehen, was einem wirklich wichtig ist. Manchmal braucht es einen Radikalschlag, mal nur kleine Pausen, Dinge, den Austausch mit anderen Menschen oder einfach ein bisschen Verrücktes.

Helfen Glücksbringer?

Wenn jemand daran glaubt, dann kann es wahrscheinlich auch Kraft freisetzen. Ich persönlich hatte nur als Kind einen, der bei Mathearbeiten half. Heute bin ich mein eigener Glücksbringer – und die Menschen, die mir wichtig sind.

Stimmt es, dass Glück teilbar ist?

Auf jeden Fall, ich bin davon überzeugt. Glück ist eine Kettenreaktion, es setzt sich fort von einem zu anderen. Ob man nun seiner Nachbarin einen Kuchen vor der Tür stellt oder was auch immer – Glück setzt sich fort.

Könnte ein offizielles, staatliches Glücksministerium dabei helfen?

Wer weiß, ob ein wirkliches Ministerium für Glück umsetzbar wäre? Meine Aktion ist als Impulsgeber gedacht. Aber die Politik ist auf jeden Fall gefragt. Etwa wenn es darum geht, welche Faktoren tatsächlich unseren Wohlstand ausmachen – sind es allein wirtschaftliche Aspekte? Glück ist zum Beispiel auch ein Faktor in Sachen Gesundheit – glückliche Menschen sind gesünder. Und die Folgen von Depression und Burnout stellen die Arbeitswelt vor neue Aufgaben. Dazu werde ich übrigens demnächst auf einem Kongress in Berlin sprechen. Und angesichts von den vielen schlimmen Nachrichten von überall in der Welt brauchen wir Vorbilder, die positiv denken.

Das Ministerium für Glück und seine Angebote im
Internet: ministeriumfuerglueck.de